22.04.2005

Interview

»Epizentrum des Erdbebens
war nahe am AKW«

Interview: Ralf Streck

Das Atomkraftwerk Fessenheim ist angeblich in desolatem Zustand. Am Samstag gibt es eine grenzüberschreitende Protestdemonstration. Ein Gespräch mit Klaus Schramm*

* Klaus Schramm ist Mitglied der Umweltorganisation BUND und Mitinitiator der »Tour de Fessenheim«. Das ist eine grenzüberschreitende Demonstration gegen den Betrieb des Atomkraftwerkes im elsässischen Fessenheim.

F: Das Atomkraftwerk (AKW) Fessenheim ist kürzlich als sicherstes Atomkraftwerk Frankreichs ausgezeichnet worden. Zuvor bekam es das Umweltzertifikat ISO 14001. Warum organisieren Sie weiter den Widerstand?

Diese Medaille kommt vom früheren Chef des AKW Fessenheim, Massart-Serge, und stammt vom Energie-Monopolisten EdF, dem Betreiber des AKW. Ein schlechter Witz also, wir müssen ja daraus schließen, daß andere AKW in noch desolateren Zustand sind. 2004 hatte eine interne Beurteilung durch die französische Nuklearaufsicht ISRN ergeben, daß Fessenheim, das älteste französische AKW, gemeinsam mit dem in Bugey auf dem letzten Platz in punkto Erdbebensicherheit steht. Das Umweltzertifikat ist eine typische »Greenwash«-Aktion, weil es den Einsatz von Energiesparlampen, Recyclingpapier und die Existenz seltener Orchideen auf dem Werksgelände prämiert. Tatsache ist, daß es ständig Pannen in diesem AKW gibt.

F: Von welchen Pannen sprechen Sie?

Die letzte größere Panne konnte jedermann kurz vor Ostern sehen, eine große Dampfwolke stand über dem AKW. Anwohner machten Fotos, und Augenzeugen berichteten von drei Feuerlöschzügen, die unter anderem aus Mulhouse zu Hilfe kamen. Doch auch nach diesem Störfall hieß es von Betreiberseite: »Kein Grund zur Besorgnis!« Es habe sich nur um einen Rohrbruch im nichtnuklearen Teil der Anlage gehandelt, und die »Panne« habe durch Schließen eines Absperrhahns behoben werden können.

F: Woran liegt es, daß man von den Störfällen kaum etwas hört?

Wie überall wollen sich die Medien, die von Anzeigen anhängig sind, nicht mit den Mächtigen anlegen. Manchmal aber sind die Ereignisse nicht zu verbergen: Die Region hier wurde in der Nacht zum 5. Dezember aufgeschreckt, als ein Erdbeben der Stärke 5,4 auf der Richterskala den Südschwarzwald und den Elsaß erschütterte. Das Epizentrum dieses Bebens lag nur 35 Kilometer vom AKW entfernt. Das 28 Jahre alte AKW ist trotz Nachrüstung nur unzureichend gegen Erdbeben geschützt. Und im Frühjahr 2004 geriet das AKW in die Schlagzeilen: Insgesamt zwölf Arbeiter waren an verschiedenen Tagen radioaktivem Dampf ausgesetzt und einer der beiden Blöcke mußte mehrere Monate abgeschaltet bleiben.

F: Wie bewerten Sie die Informationspolitik der EDF?

Alle, die mit der Informationspolitik der EdF vertraut sind, sind sehr mißtrauisch. Die Berichte über die verstrahlten Mitarbeiter wurden, entgegen bestehenden Vereinbarungen, dem Regierungspräsidium Freiburg erst Tage später zugeleitet. Allein im März konnten drei Störfalle festgestellt werden. Seitdem gab es nach Angaben der Kontrollkommission, die allerdings kaum Kompetenzen hat, drei weitere Fälle. Wir sprechen deshalb von einer schwarzen Serie, auch wenn die Presse schweigt.

F: Was unternimmt die Anti-AKW-Bewegung?

Elsässische, Nordschweizer und badische Anti-AKW-Initiativen haben im Herbst regelmäßige Treffen vereinbart, um ihre Arbeit besser zu koordinieren. Dabei wird auch auf die Unterstützung der Initiativen gegen die geplanten atomaren Endlager in Benken in der Nordschweiz, in Bure in Lothringen und in Gorleben im Wendland Wert gelegt. Auch Kontakte zu Gruppen aus dem CASTOR-Widerstand werden gepflegt. Seit fünf Jahren findet jährlich die »Tour de Fessenheim« statt, an der auch die lokalen Medien nicht vorbei kommen. Am Samstag nehmen Radfahrer an einer Sternfahrt mit Fahrrad-Corsos aus vier verschiedenen Richtungen teil, und auf drei Kundgebungen sprechen Vertreter der Anti-AKW-Gruppen. Musikgruppen treten auf und tragen dazu bei, daß die Veranstaltung nicht zu kopflastig wird. Auch für Verpflegung ist gesorgt, und wie immer wird auch an vielen Ständen einiges geboten.

Aus: 'Junge Welt' v. 22.04.05